Speedvergleich von Liegerädern und Velomobil

Motivation

Seit ich mir ein Velomobil zugelegt habe, bewegte mich die Frage: „Wie schnell sind die einzelnen Liegeräder im Vergleich?“ Bringt die Vollverkleidung eine Velomobils so viel, dass trotz erheblich größere Stirnfläche der Speed höher als bei einem unverkleideten Tieflieger ausfällt? Und um wieviel kann man mit der Racinghood (Kohle-Kevlar Haube mit Visier) nochmals den Speed eines Velomobils steigern? Wie verhalten sich ein Highracer und Midracer zum Tieflieger? Subjektiv hätte ich den Tieflieger etwa gleich schnell wie das Velomobil eingeschätzt, der Midracer ist langsamer – das empfand ich jedenfalls so.

Angeregt durch einen Artikel aus Ligfiets 2004-5 bzw. Velovision 14_2004 wollte ich einen Speedvergleich der Liegeräder fahren. Zum Messen standen diese vier Räder bereit:

  • Midracer Challenge Furai 24''
  • Tieflieger Challenge Fujin SL2 20''/26''
  • Highracer Optima HighBaron 28''
  • Velomobil Sinner Mango Sport (ohne und mit Racinghood) 20''

Bild 1-4: Maßstäbliche Stirnfläche Liegeräder Optima HighBaron, Challenge Furai, Challenge Fujin SL2 sowie Velomobil Sinner Mango sport

Bild 5-7: Maßstäbliche Seitenansicht Liegeräder Optima HighBaron, Challenge Furai, Challenge Fujin SL2...

Bild 8-10...sowie Velomobil Sinner Mango sport (ohne und mit Racinghood)

Die Idee aus dem Artikel war die Räder mit konstantem Puls auf identischen Messstrecken nacheinander durch den gleichen Fahrer zu bewegen und dabei die Geschwindigkeit zu messen.

Die Räder wurden in folgender Ausstattung gefahren:

HighBaron: mit Hecktasche, Schwalbe Ultremo ZX, vorn 25-622, hinten 28-622

Furai: ohne Hecktasche, Schwalbe Kojak 40-507

Fujin: Schwalbe Stelvio, vorn 28-406, hinten 28-559

Mango: mit Pannenzubehör wie Standpumpe etc., vorn Schwalbe Durano 28-406, hinten Kojak 35-406

Da das Gewicht bei Fahrten in der Ebene untergeordnet ist, wurde die Liegeräder zwar gewogen, aber nicht um Zubehör erleichtert.

Randbedingung

Für die Messung wird ein trainierter Fahrer benötigt, der die nötige Fitness aufbringt, um über ca. 2 h mit konstantem Puls von 150 bpm unterhalb der anaerober Schwelle fahren zu können. Da ich dieses Jahr zum Zeitpunkt der Messfahrten bereits 9.000 Jahreskilometer gefahren war, habe ich kurzerhand mich selber ausgewählt. Ein Leistungstest ergab, dass meine anaerobe Schwelle bei 165 bpm liegt, mit einem Maximalpuls von 195 bpm.


Ich selber bin 1,83 m groß, wiege 74 kg und habe während der Messfahrten die Kleidung nicht verändert. Es wurde „doppelkurz“ gefahren, mit einer Windweste als Schutz. Wäh­rend der Messung habe ich eine Trittfrequenz von 90...100 eingehalten. Alle Liegeräder waren perfekt auf mich eingestellt.

Als Strecke wurde eine ebene Straße auf 210 m über NN gewählt. Die Länge der Mess­strecke betrug 4 km und war direkt neben einem Fluss gelegen. Sie war ziemlich windge­schützt zwischen Weinbergen und einer Eisenbahnstrecke gelegen. Der Höhenunter­schied zwischen Anfang und Ende betrug weniger als 2 Hm. Der Asphalt war sehr gut und ziemlich glatt.

Die Messung fand um die Mittagszeit statt, einem ziemlich wind­stillem Tag mit ca. 20°C. Die Temperatur veränderte sich über Messungen nur um 3°C.

Die Messungen wurde wie folgt durchgeführt: Zunächst habe ich mich ca. 30 min. warm gefahren. Dann habe ich mich zunächst solange auf der Messstrecke eingerollt, bis sowohl der Puls von 150 bpm als auch die Geschwindigkeit eine stationären Wert erreicht haben. Dafür benötigte ich ca. 1 km. Dann wurde die Ge­schwindigkeitsmessung per GPS (Garmin Dakota) gestartet. Über die Messstrecke von 3 km hatte dann das Fahren eines konstanten Puls von 150 bpm oberste Priorität. Am Ende der Messstrecke wurde bei voller Fahrt die Durchschnittsgeschwindigkeit der Messung notiert. Anschließend wurde gewendet und das gleiche Vorgehen in entgegen gesetzter Richtung angewendet. So wurde je 2 Fahrten in beide Richtung durchgeführt. Waren die Messwerte innerhalb einer Streuung von kleiner 1 km/h, dann wurde die Messfahrt been­det. Ansonsten wurden erneut eine Fahrt in beide Richtungen durchgeführt.

Alle Messfahrten wurden dabei mit dem Sigma Rox 9.0 protokolliert, wobei die Ge­schwindigkeit nicht ausgewertet wurde, um Fehler durch die Reifengröße auszuschließen. Anbei ein Beispiel für die Messungen exemplarisch für die Fahrten mit dem Mango Velo­mobil:

Bild 2: Messschrieb Mango offen. WP sind Messstart und -stopp. Rote Kurve = Puls, der grüne Bereich ist 140 .. 160 bpm. Grüne Linie = Geschwindigkeit.

Anschließend musste das Liegerad getauscht werden. Dazu musste die Messstrecke für zwei Kilometer verlassen werden, 60 Hm wurden zurück gelegt, dann wieder mit einem anderen Liegerad zur Messstrecke, um die gleichen Messungen erneut durchzuführen.

Am Ende wurde zur Überprüfung der Reproduzierbarkeit erneut eine Messfahrt mit dem zuerst gewählten Rad durchgeführt. Dadurch stellte ich sicher, dass über die Messreihe keine relevante Ermüdung des Fahrers eingetreten ist.

Über die Messreihen eines jeden Liegerads wurde dann der Mittelwert der Durchschnitts­geschwindigkeiten berechnet, um Gefälle- und Windeinfluss heraus zu mitteln. Hier das Ergebnis:

Furai: 35,9 km/h

HighBaron: 37,5 km/h

Fujin: 39,3 km/h

Mango offen: 42,0 km/h

Mango Hood: 44,3 km/h

Damit stand fest, dass das Velomobil definitiv am schnellsten war! Und mit der Racinghood auch wirklich noch mal über 5% schneller!

Dass die offenen Liegeräder aber so deutlich langsamer sind, hätte ich vom subjektiven Eindruck her nicht erwartet. Das Furai hatte ich subjektiv als langsamer als das Fujin erlebt, was auch bestätigt wurde. Und das HighBaron hatte ich auch immer als schnelles Rad empfunden, auch wenn einem die hohe Sitzposition dies nicht ganz so deutlich vermittelt. Aber die großen Abstände zwischen den Rädern waren schon überraschend.

In dem Bericht in Velovision 2004 hatte man die Geschwindigkeit unter ähnlichen Randbe­dingungen mit 41,2 km/h ermittelt. Somit haben sich meine Annahmen im Rahmen der Messgenauigkeit als brauchbar erwiesen.


Fehlerbetrachtung

Der Puls konnte gut bei 150 bpm im Bereich +/- 5 bpm gehalten werden. Somit kann von ziemlich vergleichbaren Antriebsleistungen ausgegangen werden.

Schwankung der Geschwindigkeit waren teilweise durch Windböen und überholende Lkw oder Busse bedingt. Im Mittel sollte sich dies aber ausgeglichen haben.

Leider ist der Wirkungsgrad der Antriebsstränge nicht bekannt. Da nur die Antriebsleitung am Tretlager konstant gehalten wurde, kann durch die verschiedenen Antriebsstränge durchaus eine Rückwirkung auf die Geschwindigkeit eingetreten sein.


Berechnung

Die ermittelte Geschwindigkeit habe ich nun für eine vergleichende Berechnung der Liege­räder benutzt.

Meine Antriebsleistung habe ich aus dem Befahren von Alpenpässen berechnet. Dies ist möglich wenn die Pässe lange konstante große Steigungen von ca. 10% aufweisen, so dass die Fahrwiderstände vernachlässigbar werden ( <5% der Antriebsleistung). Nahezu vollständig wird also dann die Antriebsleistung in Steigleistung umgewandelt.

Fährt man nun mit konstanter Herzfrequenz die Pässe hinauf, so kann die Steigleistung aus Masse * g * Höhe / Zeit berechnet werden. Das Ergebnis ist die Leistung am Hinter­rad. Unterstellt man einen Wirkungsgrad von 95% des Antriebsstrangs, so kann die An­triebsleistung am Tretlager abgeschätzt werden. Für mich ergab sich daraus bei 150 Puls eine Antriebsleistung von 210 W am Tretlager. Für die nachfolgenden Berechnungen wurde dann aber nur 200 W angesetzt, da für die Geschwindigkeit die Antriebsleistung am Hinterrad relevant ist.

Die Fahrwiderstandsgleichung beinhaltet dann für die Messreihen in der Ebene nur Roll- und Luftwiderstand. Viele Eckdaten konnten gemessen (Gewicht), über Rechnungen er­mittelt werden (Stirnfläche mit mir als Fahrer: Projezierte Fläche ausgemessen aus Foto) oder Literatur entnommen werden (Rollwiderstandszahl 0,0058; Dichte der Luft 1,21 kg/m³ bei 20°C in 200m Höhe).

Dann bleibt als einzige Unbekannte die Luftwiderstandszahl cw, die nun aus der Fahrwi­derstandsgleichung mit der Leistung am Hinterrad berechnet wird.

Darüber hinaus habe ich zum Vergleich die Literaturdaten für einen Rennradfahrer er­gänzt:

Spannend war die Erkenntnis, dass die Stirnfläche beim Furai kam größer als beim Fujin ist. Nun ist das Fujin aber so perfekt um den Fahrer geschmiegt, dass sich ein deutlich ge­ringerer cw-Wert ergibt. Das Fujin ist ein echtes Renngerät, während das Furai durch Schutzbleche und Gepäckträger ein schneller Alltagslieger ist. Schneller als ein Rennrad ist es allemal, wie die Abschätzung aus Literaturwerten zeigt.


Der HighBaron liegt dazwischen. Mit seinen schmalen Rennreifen und eng anschmiegenden Schutzblechen, ohne Gepäckträger dafür aber mit aerodynamischer Sitztasche wird er seinem Namen „Highracer“ absolut gerecht. Auch wenn ich das Rad eigentlich als Tourenrad einsetze, so ist es auch eine Empfehlung für eine schnelle Runde mit den Freunden aus der Radsportgruppe.


Das Mango schließlich kompensiert seine erheblich größere Stirnfläche über den fantasti­schen cw-Wert von 0,31. So einen Wert hat man im Automobilbau erst in den letzten Jah­ren geschafft! Und mit der Racinghood wird der cw-Wert nochmals auf traumhafte 0,25 abgesenkt! Hat man einmal den Speed mit der Haube genossen, so macht das offen fahren nur noch halb so viel Spaß.


Martin Dettmar

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